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PROLOG
Finsternis umhüllt mich wie schwarze Watte. Ich treibe so tief unter Wasser, dass ich meine Finger vor Augen nicht sehen kann. Mit aufgerissenen Lidern versuche ich etwas zu erkennen, aber ich bleibe blind.
Plötzlich spüre ich Gefahr. Starr vor Angst halte ich die Luft in meinen Lungen. Ich wage keinen Finger zu rühren und flehe, dass mich das hektische Klopfen in meinem Brustkorb nicht verrät.
Jetzt: Die Masse schiebt sich auf mich zu – ich darf auf keinen Fall entdeckt werden ...
Der Amauch ist da.
Als sich mir der Amauch näherte, erwachte ich, bevor Schlimmeres passieren konnte. Bis nach dem Erwachen hatte ich seine mächtige Gestalt noch klar vor Augen. Selbst wenn die Erinnerung an sein Äußeres blasser geworden ist, werde ich seinen Namen nicht mehr vergessen.
Schon in meinen ersten Lebensjahren konnte ich mich häufig an Träume erinnern. Allerdings durchlebte ich in meiner Kindheit hauptsächlich Albträume. In dieser Zeit begann ich das „Wachschütteln“ zu entwickeln. Eine Methode mit der ich mich – mehr oder weniger bewusst – aus einem Albtraum aufwecken konnte, wenn die Angst zu groß wurde. Obwohl mich fast alle meine Traumerlebnisse einschüchterten, war ich doch von den wenigen wunderbaren Träumen verzaubert.
Eines Nachts fand ich mich in einem meiner zahlreichen Albträume wieder, die stets nach demselben Muster abliefen. Doch plötzlich, kurz bevor ich wieder einmal von einem Monster aufgefressen werden sollte, erleuchtete ein Gedanke mein getrübtes Bewusstsein. Eine Idee. Mir fiel eine Lösung ein, wie ich den Traum, der mir auf einmal ziemlich bekannt vorkam, anders enden lassen konnte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und bot dem Monster meine Freundschaft an. Es funktionierte. Am Morgen erwachte ich voller Glück und war erlöst. Dieser Albtraum kehrte nie wieder.
Ich hatte mich selbst befreien können. Und dieser Triumph setzte eine Entwicklung in Gang: Der neue Bewusstseinszustand – der Klartraum – tauchte nun sporadisch auf und meine angenehmen Traumerlebnisse vermehrten sich. Der luzide Traumzustand setzte vorwiegend in Traumsituationen ein, die sehr emotional waren oder er überkam mich dann, wenn ich kurz davor war, zu erwachen. In diesen Momenten erkannte ich nun häufiger, dass ich träumte.
Ich empfand das Klarträumen von Beginn an als lösendes Ereignis. Jedes Mal ereiferte ich mich, den Traum auf verschiedene Arten zu beeinflussen und genoss diese Art der Kontrolle. In meiner Traumwelt wurde das „Versuchslabor Klartraum“ eröffnet und ich wurde oberster Leiter. Stets freute ich mich auf die nächste Möglichkeit, wieder experimentieren zu können. Im Verlauf der Jahre erfand, erlernte und verbesserte ich selbstständig viele weitere Methoden, luzide Träume zu beeinflussen. Meine Traumwelt, die ich mir nun ab und an zu Nutze machen konnte, veränderte sich hin zu einem freundlicheren Ort. Die Energie und Kreativität des Traumzustands faszinierten mich.
Im Jahr 2012 begann ich, mich in meinen Klarträumen mit Traumfiguren zu unterhalten und war sofort begeistert von dieser neuen Art, Gespräche zu führen. Die bewusste Kommunikation im luziden Traum war ein Gebiet, das ich bis dato nicht wirklich erkundet hatte. Ich nutze diesen besonderen Traumzustand, um Traumgestalten näher kennenzulernen und ihnen verschiedene Fragen zu stellen ...
Dabei fand ich folgendes heraus: Je simpler die Fragestellung und je freier die Möglichkeit zu antworten, desto überraschender das Ergebnis. Ich rief eine neue Versuchsreihe ins Leben. Die spontanen Texte, die ich im luziden Traum erfragte, sollten im Wachleben unverfälscht dokumentiert werden. Es blieb nicht lange bei einer Versuchsreihe. Ich perfektionierte diese Methode und war von nun an mit einer Mission unterwegs: Mit lyrischer Mission im Klartraum.
Sobald ich mich in einem luziden Traum befinde, gehe ich auf bestimmte Weise vor: Ich begebe mich auf die Suche nach einer geeigneten Traumgestalt und bitte sie, mir einen spontane Text vorzutragen. Ich wiederhole das Ergebnis so lange in Gedanken, bis ich es mir eingeprägt habe. Anschließend wecke ich mich selbst auf. Sobald ich erwacht bin, dokumentiere ich die Lyrik und alle Erinnerungen an den erlebten Traum. Wenn alles nach Plan funktioniert, ist die Mission erfolgreich abgeschlossen.
Kurz: Im luziden Traum eine Traumfigur aufsuchen, spontane Lyrik erbitten, Ergebnis einprägen, selbst aufwecken, Text oder Lied mitsamt Traumverlauf dokumentieren.
Doch auch ein Klartraum bleibt immer noch ein Traum. Und auch wer bewusst träumt, kann nie genau wissen, was sich als Nächstes ereignet. Noch dazu bleibt wenig Zeit. So plötzlich wie er einsetzt, kann ein luzider Traum auch wieder enden ...
Die Lyrik im Wachleben rekonstruieren zu können, ist das wichtigste Ziel der Mission. Sie scheitert demnach, wenn ich zu früh erwache oder die Kontrolle über den luziden Traum verliere. Habe ich die Lyrik beim Erwachen vergessen, gilt die Mission ebenfalls als fehlgeschlagen.
Um Gesprächspartnern im luziden Traum Lyrik zu entlocken, bedarf es nicht nur eines geschickt geführten Dialogs, sondern auch einer gehörigen Portion Gewiefheit.
Meine Erfahrung ist, dass Figuren im Traum häufig genauso auf die Bitte reagieren, ein spontanes Gedicht vorzutragen, wie die Menschen im Wachleben. Traumfiguren können tiefsinnige Poeten, talentierte Sänger, versierte Reimarchitekten oder auch alberne Spaßvögel sein. Sie können schüchtern sein, wollen nicht mitwirken, haben datenschutztechnische Bedenken oder sie sind leider einfallslos. Sprachtalent oder Reimverweigerer – Wen man antrifft, weiß man vorher nicht. Noch dazu muss der Träumer oftmals mit weiteren kuriosen Hindernissen rechnen, die schließlich ein Grundbestandteil von Träumen sind ...
Im Traum unterliegen besonders die Handlung und alles Wahrnehmbare einem stetigen Wandel. Veränderung ist eine Konstante der Traumumgebung. Genauso verhält es sich mit einer sprachlichen Botschaft. Ist die Lyrik einmal vorgetragen, hilft kein „Wie bitte?“ mehr. Mir ist noch keine Traumgestalt begegnet, die willens oder fähig war, sich exakt zu wiederholen.
Im Klartraum ist die Gedächtnisleistung des Träumers zwar aufgrund des ausgeprägten Bewusstseins ebenso leistungsfähig wie im Wachleben, doch das ist noch lange kein Erfolgsgarant. Große Hürden auf der Zielgeraden einer Mission sind das berüchtigte „falsche Erwachen“ oder Traumfiguren, die den Träumer am „Selbst-Aufwecken“ hindern wollen. Und je mehr Zeit bis zum geplanten Erwachen verstreicht, desto lückenhafter wird dann die Traumerinnerung sein ...
Meine lyrische Mission im Klartraum ist alles andere als eine gewöhnliche Mission. Deshalb entstand das Buch "Amauch".
Leseprobe:
7. Kapitel "Junikäferhelm" lesen!
13. Kapitel "Strahl der Gedanken" lesen!
Betreuung der TH Nürnberg: